Das Herz des Werkes im abstrakten Raum
Vor einigen Tagen hat Toti Scialoja, der 80-jährige italienische Meister
der abstrakten/nicht-figurativen Kunst, in einem Interview gesagt:"Es gibt
eine stilistische Feinheit die, Ausmaße gebietet, an die du glaubst und die
du brauchst, um dich auszudrücken, die nicht der wirtschaftlichen
Nachfrage entsprechen. Einer sagt: ich male nicht, um zu verkaufen, ich
bin kein Handwerker, der Schuhe herstellt. Aber das Problem bleibt. Die
Leute wollen das kleine Bild,das man über dem Sofa aufhängt. Aber das
stimmt nicht mit dem Verlangen nach Ausdruck des Malers überein. Die
abstrakte Malerei der Bewegung benötigt eine sehr weite Dimension,
denn die Bewegung kommt nicht nur aus dem Handgelenk, sondern aus
dem ganzen Körper des Menschen, braucht Raum, der Bewegung
erlaubt. Wenn sich der Körper des Menschen ausdrücken soll... die Bilder
... können nicht die Ausmaße eines kleinen Stillebens haben." Und er
fährt fort, eine Idee der Malerei außer dem 0bjekt, außer dem eigenen
Konzept von Raum zu bekräftigen:"Da ist nicht mehr die Malerei, sondern
das ästhetische Symbol, als Kunst vorgeschlagen. Die Jungen sind von
dieser Idee des Duchamp beeinflußt. Es gibt solche Maler, aber sie sind
meist figurativ, ich hingegen glaube, daß die Vorstellung vom ausdrucks-
starken Raum keine andere als die des abstrakten Raumes sein kann".
Soweit ich Vittorio Amadio und seine Kunst kenne, finde ich, daß diese
Definitionen von Scialoja eine haargenaue Beschreibung der Malerei des
picenischen Künstlers ist, so, wie sie in den letzten 15 Jahren zur
Darstellung kam, als er sich der Möglichkeit klar wurde, seine
Ausdrucksweise von allem bric à brac der neofigurativen Kunst und der
falschen Symbolik zu entledigen, und er in völliger Freiheit der Zeichen
und im anwendenden und entgegenstellenden Kontrapunkt der Farben
den Weg zu einer direkten Ausdrucksweise ohne überladene Vermittlung
gefunden hat. Seine Philosophie ist nicht aus der solipsistischen
Richtung, exclusiv, vom hortus conclusus, wohl aber offen für Ideen
anderer, in dem Ausmaß, in dem er sich mit dem Ursprung des
Gemäldes identifizieren kann, mit dem relationalen Geist des Künstlers,
aber auch gerade so viel vom Irrelationalen, das jedes Kunstwerk in sei-
nem Innersten wie einen geheimnisvollen Punkt der Niemals-Wiederkehr
hütet. Einfach ausgedrückt ist das was auf den ersten Blick wie eine Jagd
um den Heiligen Graal oder ähnlich erscheinen mag in Wirklichkeit nichts
anderes als das was im Werk des Künstlers unausgesprochen bleibt.
Sicher, jeder von uns - unvoreingenommener oder von diesen Gemälden
stark beeindruckter Betrachter - kann sich um eine malerische Methodik
bemühen, die seitens des Künstlers nicht oder nur in geringem Maße
gesucht wurde, da, wie schon anfangs gesagt, seine Malerei eine der
Bewegung ist. Aber auch die Bewegung hat eine sequentielle
Charakteristik, die mit großer Annäherung wiederentdeckt werden kann.
Sein Phantombild - wer auch immer es umreißt - wird der Wahrheit mehr
oder weniger nahekommen, aber das ist nicht der geeignete Weg in die
geheimnisvollen Winkel des Kunstwerkes vorzustoßen. Amadio selbst,
auch wenn er es wollte, wäre nicht in der Lage, die nötigen Mittel zu lie-
fern, um die Grenzen, die unseren Zugang zum Herzen des Gemäldes
behindern, zu überwinden. Aus einem ganz einfachen Grund: das "Herz"
des Gemäldes existiert nicht. Es existiert das Herz des Künstlers. Wir
können höchstens beim Betrachten des Gemäldes die Herzschläge wahr-
nehmen, aber das geschieht äußerst selten, denn nur manchmal verfügt
der Betrachter über die nötige Sensibilität, sich mit den Herzschlägen des
Künstlers in Einklang zu bringen. Aber ein wahrer Künstler vermeidet aus
Prinzip, seine Gemälde einzupuppen, um das Auge des Betrachters nicht
zu bestricken, sondern er ruft immer eine besondere "Einfühlung"
gegenüber seinen künstlerischen Abläufen (und seinen Ergebnissen) her-
vor.
Amadio gehört dieser seltenen Art von Künstlern an.
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